Mitten im grünen Hanover, New Hampshire, zwischen ehrwürdigen Bibliotheken und modernen Laboren, erhebt sich ein Raum, der klingt: The Warehouse. Dieses experimentelle Klanglabor an der Dartmouth College Music Faculty ist mehr als nur ein Ort für Konzerte. Es ist ein architektonisch-akustisches Manifest für die Zukunft der klangkünstlerischen Praxis.
Ein Raum, der Hören anders denkt
Rund 230 Quadratmeter, 24.2-Kanal-Meyer-Lautsprecherarray, DMX-Lichtsysteme – doch Zahlen werden diesem Raum kaum gerecht. Konzipiert von den Architekturbüros T+E+A+M und stock-a-studio in enger Zusammenarbeit mit der Komponistin und Klangvisionärin Ash Fure, verwandelt sich das Warehouse je nach Performance in ein Club-Setting, eine akustische Blackbox oder einen Raum für konzentriertes Hören.

Fure, selbst Associate Professor für Sonic Arts, spricht von einem „generativen Motor für Klang“: Tanzabende, Drone-Sessions, Noise-Performances – all das hat hier Platz. Und das nicht nur physisch. Die flexible Stahlstruktur mit zahlreichen Rigging-Punkten erlaubt es Künstler*innen, den Raum wie ein Instrument zu bespielen. „Wir wollten einen Raum schaffen, der bereit ist für Aktion, für Spiel, für ständige Veränderung“, so Xavi Aguirre von stock-a-studio.
Architektur als Mitspieler
Die ästhetische Strategie ist mutig: Sichtbare Leitungen, blanke Rohre, ein silber lackiertes Abrissdach – hier wird das Unsichtbare sichtbar, das Funktionale zum Bühnenelement. Der Raum verzichtet bewusst auf glatte Oberflächen zugunsten eines „unfinished aesthetics“, der nicht nur dem Sound, sondern auch der Materialästhetik Raum gibt. Das Repertoire reicht von mobilen Möbeln bis zu modularen Bauteilen, die sich leicht anpassen lassen – eine Philosophie der Offenheit und Kreislauffähigkeit.

Ein Zuhause für das M.F.A.-Programm Sonic Practice
Ab dem akademischen Jahr 2025/26 wird The Warehouse zum Zentrum des neuen dreijährigen Masterstudiengangs „Sonic Practice“. Neben Lehre und Performance sind auch künftige Residenzprogramme geplant. Fure versteht Klang nicht nur als akustisches, sondern als soziales Medium: „Es wirkt auf den Körper und den Körper politisch. Mein Wunsch ist, dass dieser Raum Menschen wieder für das gemeinschaftliche Hören öffnet.“

Architektonisches Klanglabor mit Haltung
Für T+E+A+M ist The Warehouse ein Meilenstein in ihrer Erforschung von adaptiver Wiederverwendung. Das Projekt ist Teil ihrer kontinuierlichen Praxis zwischen Nachhaltigkeit und experimenteller Formensprache. Ihr erstes großes Umbauprojekt in Detroit steht diesen Herbst vor der Eröffnung. stock-a-studio wiederum, bekannt für seine materialbewusste „kit-of-parts“-Architektur, verbindet in The Warehouse ihre Forschungsarbeit an der MIT mit einer realen Raumvision.

Projektdaten
Entwurf Architekt: T+E+A+M x stock-a-studio
Verantwortlicher Architekt: T+E+A+M
Akustik: Polytope Agency und Threshold Acoustics
Audio: Polytope Agency
MEP: Slade Engineering
Electrical: Kirick Engineering
Generalunternehmer: Estes & Gallop
Fotos: Brooke Holm, www.brookeholm.com
Architekturvisionen aus Michigan: Wie T+E+A+M mit klugem Pragmatismus urbane Räume neu denkt
Das Architekturbüro T+E+A+M mit Sitz in Michigan trägt sein Kollektivverständnis bereits im Namen: Thom Moran, Ellie Abrons, Adam Fure und Meredith Miller arbeiten bewusst jenseits autoritärer Architekturmythen – und machen sich damit zunehmend einen internationalen Namen. Ihre Projekte bewegen sich zwischen künstlerischem Experiment und funktionalem Städtebau, zwischen Nachbarschaftsprojekt und Ausstellungsbeitrag.
Zuletzt realisierte T+E+A+M eine zusätzliche Wohneinheit in Ann Arbor – ein stilles Statement in Zeiten wachsender Wohnungsnot. Parallel dazu entstand ein Konzept für erschwingliche Arbeiterwohnungen in Detroit, die bewusst das nachbarschaftliche Gefüge stärken sollen. Am Dartmouth College wiederum setzten die Architekten einen experimentellen Klangraum um, der das Verhältnis von Raum, Wahrnehmung und Akustik neu inszeniert.
Mit Building in a Building entsteht derzeit das erste gebaute Projekt von T+E+A+M in Detroit. Die Fertigstellung ist für 2024 angesetzt. Auf rund 9.000 Quadratmetern wird ein Ensemble aus Bestandsumbau und Neubau geschaffen – gedacht als lebendiges Stadtmodul mit Einzelhandelsflächen, Freizeitangeboten und öffentlichen Kunstinterventionen entlang der East Jefferson Avenue. Eine Architektur, die auf heterogene Nutzung statt sterile Visionen setzt.
Dass T+E+A+M nicht nur bauen, sondern auch denken, zeigen ihre Ausstellungsbeteiligungen: Venedig, Chicago, New York, Detroit, Los Angeles – ihre Arbeiten sind international präsent und regen zur Debatte an. Auch renommierte Magazine wie Dwell, Document Journal und Metropolis berichteten bereits über die unprätentiöse Handschrift des Büros. 2022 zählte Wallpaper das Quartett zur nächsten Generation, die – so der Tenor – die Welt der Architektur „aufzurütteln“ vermag.
tpluseplusaplusm.us
Architektur im Kreislauf: Wie stock-a-studio mit Materialresten und Konzeptkunst Räume neu denkt
Das architektonische Designstudio stock-a-studio, unter der Leitung von Xavi Aguirre, balanciert gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen künstlerischer Geste und praktischer Anwendung. Der Fokus liegt auf der Wiederverwendung von Materialien – nicht als moralischer Imperativ, sondern als gestalterisches Prinzip, das sowohl ästhetische als auch funktionale Möglichkeiten neu auslotet.
In den Arbeiten von stock-a-studio trifft das Szenografische auf das Zweckmäßige: Produkte, Montagemethoden, visuelle Codes und die Einflussnahme des Designs auf ökonomische wie ökologische Systeme werden hier nicht getrennt, sondern als miteinander verwobene Strukturen verstanden. Der Begriff der Ressource wird erweitert – materiell und immateriell zugleich.
Mit dem Projekt Proofing: Widerstandsfähig und bereit gestaltete stock-a-studio 2024 den US-Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig. Eine Installation, die weniger Antworten als Fragen bot – über Resilienz, Anpassungsfähigkeit und die Rolle von Ästhetik in einer Zukunft, die weniger linear verläuft als noch jede Masterplanung suggeriert.
Die Bandbreite der Auftraggeber liest sich wie ein who’s who der kulturellen Avantgarde: MOCA Geffen in Los Angeles, Superblue Miami, Design Core Detroit, der legendäre Berliner Berghain Club, Storefront for Art and Architecture in New York oder der Salone del Mobile in Mailand. Auch ungewöhnliche Orte wie die California State Parks oder das queere Architekturkollektiv Queer Pile Up beauftragten bereits Projekte mit klarer Haltung und ungewöhnlicher Formensprache.
Neben seiner Praxis unterrichtet Aguirre als Assistenzprofessor an der School of Architecture des MIT. Dort leitet er das Future-Flex Lab – ein Forschungslabor für adaptive Architektur und zukunftsorientierte Materialsysteme. Ziel ist es, gebaute Umwelt nicht als statisches Objekt, sondern als wandelbares Gefüge zu begreifen, das mit der Zeit wächst – oder schrumpft.
stockastudio.com
Ash Fure: Klang als Körpererfahrung – zwischen Komposition, Installation und sozialer Resonanz
Ash Fures Werke sind weniger Musikstücke als körperlich spürbare Klangräume. Ihre Kompositionen entfalten sich als multisensorische Erfahrungen, in denen der Schall nicht bloß gehört, sondern geradezu physisch ertastet wird. Der New Yorker beschrieb ihre Performances als „rein viszeral“ und „umwerfend originell“ – ein seltenes Lob in einer Disziplin, die oft zwischen Akademie und Abstraktion pendelt.
Ob als Live-Performance oder als raumgreifende Installation: Fures Arbeiten mobilisieren den „sozialen Muskel des Zuhörens“, wie sie es selbst formuliert. Klang wird hier zum Medium kollektiver Aufmerksamkeit – und zur Einladung, die eigenen Sinne als etwas Offenes, Animalisches und Gemeinschaftliches zu begreifen. Ein ästhetisches Plädoyer für das Zuhören im Zeitalter des Dauergeredes.
Fures Werk wurde vielfach ausgezeichnet: Sie erhielt u. a. zwei Emerging Artist Awards des Lincoln Center, ein Guggenheim-Stipendium, den renommierten Rom-Preis für Musikkomposition, den Berliner Künstlerpreis des DAAD, ein Fulbright-Stipendium in Frankreich, den Stuttgarter Kompositionspreis sowie ein Förderstipendium der Foundation for Contemporary Arts. Ihr akademischer Hintergrund – ein Doktortitel in Musikkomposition von der Harvard University – bildet das intellektuelle Fundament für eine Praxis, die Theorie nie als Gegensatz zur Erfahrung begreift.
Heute lehrt Fure als außerordentliche Professorin für Sonic Arts am Dartmouth College, wo sie den diskursiven Austausch zwischen klanglicher Praxis und wissenschaftlicher Reflexion pflegt. Seit 2021 ist sie zudem künstlerische Leiterin von The Industry in Los Angeles – einem radikalen Opernkollektiv, das sich der Transformation von Musiktheater verschrieben hat. Eine Schnittstelle, wie gemacht für Fures interdisziplinären Zugriff.
ashleyfure.com