In Sindelfingen, dieser schwäbischen Stadt, die man bislang weniger mit existenzialistischer Poesie als mit Automobilbau verband, öffnen sich vom 11. Mai bis 14. September 2025 überraschende Dimensionen. Die Galerie Stadt Sindelfingen zeigt mit unforeseen eine Doppelpräsenz der konzeptionellen Bildhauer Gianni Caravaggio und Johannes Wald – eine stille, aber durchaus sinnstiftende Konstellation zweier künstlerischer Himmelskörper, deren Gravitation sich weniger an Material als an Bedeutung orientiert.
Das Atelier als Denkraum
Johannes Wald, in Sindelfingen geboren, kehrt gewissermaßen heim – und zwar mit einer Werkgruppe, die sich der eigenen künstlerischen Existenz mit chirurgischer Feinfühligkeit nähert. Seine Arbeiten denken das Atelier nicht als Produktionsstätte, sondern als psychogeografischen Ort. Ein Raum, in dem Ideen auftauchen, sich verflüchtigen oder – wie in seinem untitled (2025) – als Handabdrücke in Gips eine plastische Erinnerung an einen gedachten Prozess zurücklassen.

Walds drawings, words and errant thoughts erinnern an die Alchemie des Zweifelns: Notizbücher werden geschreddert und zu neuen Papierflächen recycelt oder in Kupfer gehüllt – der Inhalt verschwindet, die Idee bleibt, als Skulptur einer ehemaligen Skizze.
Seine Videoarbeiten, im eigenen Studio entstanden, machen die künstlerische Persona selbst zum Sujet. Vielleicht ein bisschen wie Rodin, hätte dieser Netflix gehabt.
Körper und Konzepte
Mit einem gewissen melancholischen Humor begegnet Wald auch den alten Idealen der Skulptur. In broken and failed / attempts at forming adequate gestures of beauty versammelt er Gipsfragmente wie gescheiterte Schönheitsversuche in einem Container – eine Art museales Tagebuch der Verwerfung. Ein bronzener Arm, gelenkig und gestisch (untitled (several attempts at forming an adequate gesture of beauty)), scheint direkt aus einem antiken Gymnasium gefallen zu sein, nur mit mehr Selbstreflexion.

Kosmologie auf Italienisch
Gianni Caravaggio hingegen schickt uns mit seinen Arbeiten auf eine interstellare Wanderung – allerdings mit feinem Schuhwerk und philosophischem Gepäck. Seine Skulpturen sind poetische Kristallisationen zwischen Naturbeobachtung und metaphysischer Spekulation. Young Universe ist nicht nur ein feines Glasgebilde mit Handumriss, sondern auch eine subtile Allegorie auf die kosmische Ursuppe: Der Anfang von allem, sanft eingefasst in filigrane Kugeln, gehalten von der Idee einer Geste.
In der oberen Etage des Museums vollzieht sich der Urknall weiter – dieselbe Arbeit, weitergedacht. Die Glaskugeln liegen nun verteilt, das Universum hat sich ausgedehnt. Das ist nicht nur didaktisch charmant, sondern visuell auch von der Art, die einem beim Nachdenken den Atem anhält.
Vom Sediment zum Sinn
Mit Einsame Reise durch Zeit und Raum bringt Caravaggio einen rosafarbenen Onyx ins Spiel, durchzogen von einer roten Bohne – und ja, das ist genauso absurd und berührend, wie es klingt. Ein Fossil der Zeitlichkeit, das die Existenz der Azukibohne aufwertet zur Chronistin geologischer Ewigkeiten. Fast wie ein literarisches Fundstück von Italo Calvino.
Auch Zeit rinnt mir durch die Finger, zwei Palmenblätter – eins echt, eins aus Bronze – spielt mit Vergänglichkeit, Erinnerung und dem Versuch, Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Was bleibt, ist die Geste, nicht das Blatt.
Treffen im Irgendwann
Dass beide Künstler sich auch mit den Bedingungen ihrer jeweiligen Bildhauerei auseinandersetzen – Wald mit Blick auf das Atelier, Caravaggio mit kosmologischer Melancholie – verleiht der Ausstellung ihre eigentliche Tiefe. Besonders berührend: Werden wir uns wieder verfehlen?, Caravaggios Schlangentrio aus verschiedenen Metallen, das in einem Raum aufeinander zugeht und im anderen sich schicksalshaft verpasst. Ein Gleichnis über das Menschliche schlechthin: das ewige Annähern und doch Verfehlen, mit einem Augenzwinkern Richtung griechisches Drama.
Subjektive Horizonte
Mit In Nebel trennt die Sonne vom Horizont schließlich gelingt Caravaggio ein synästhetisches Wunder: Gelbe und blaue Schnüre sowie ein Alabasterstein genügen, um eine komplette Landschaft zu evozieren. Kein Sonnenuntergang – aber die Vorstellung davon. Und ist das nicht ohnehin das Höchste, was Kunst kann?